Wednesday, 17th April 2024
17 April 2024

Was hinter den Kulissen der Discounter abgeht

Discounter boomen! 16 000 Filialen gibt es in Deutschland, zusammen erzielen sie unglaubliche 42 Prozent des Umsatzes in unserem Lebensmitteleinzelhandel. Acht von zehn Deutschen kaufen wöchentlich dort ein. Doch hinter der Fassade sieht es oft düster aus.

Der extreme Preiskampf (meist bleibt den Märkten nur ein Prozent Gewinn pro Einkauf) hat fatale Folgen: wenig Personal, viele Überstunden, Arbeit am Limit. Immer mehr Discounter-Mitarbeiter klagen über Gesundheitsprobleme und Dauerstress am Arbeitsplatz.

Eine ZDFzoom-Doku deckte am Mittwochabend zahlreiche Mängel bei Lidl, Netto und Norma auf. Motto der Sendung: „Hauptsache billig? – Das System Discounter“.

DIE EFFIZIENZ

Lidl ist die größte Discounter-Kette. Rund 3200 Filialen, 79 000 Mitarbeiter. Obwohl Lidl um ein positives Image bemüht ist, klagen Mitarbeiter: Die Effizienz stehe über den einzelnen Angestellten. Ein immer wiederkehrender Vorwurf: Bei Lidl gehe es vor allem um eine sogenannte ’Stundenleistung’.

Wirtschaftswissenschaftler Prof. Tanju Aygün: „Die Formel dabei ist: Umsatz durch eingesetzte Mitarbeiterstunden. Diese Zahl zeigt dann die Leistungsfähigkeit einer Filiale.“ Eine „gute” Filiale kann also mit weniger Stunden mehr Umsatz bewältigen.

Insider berichten in der ZDF-Doku außerdem, es gäbe bei Lidl eine interne Rangliste. Darin vermerkt: Welche Filiale kann welche Stundenleistung vorweisen. Experten kritisieren: Mitarbeiter werden wie Maschinen behandelt.

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DIE GESUNDHEIT

Ähnliche Beschwerden kommen von Netto-Angestellten: Arbeitstage mit zwölf bis 14 Stunden seien keine Seltenheit, heißt es in der Doku. Dies führe zu Gesundheitsschäden wie Muskel- oder Gelenkschmerzen, Schlaflosigkeit, Nervosität und psychischen Belastungen.

Die Netto-Arbeitskräfte leiden internen Gutachter-Urteilen zufolge aber noch unter einem anderen Problem: Viele Filialen sind unterbesetzt. Experten führen dies vor allem auf das sogenannte „1:1-Prinzip“ zurück. Ein Kollege sitzt an der Kasse, einer rennt durch den Laden, füllt im Akkord Regale nach, kümmert sich um den (defekten) Pfandautomaten, geht ans Telefon oder unterstützt an der Kasse.

Ein Filialleiter in der TV-Doku: „Wir bekommen vorgeschrieben, wie viel Umsatz wir planen sollen und wie viele Stunden wir dann kriegen. Diese Stunden reichen aber nicht aus, damit man die Arbeit bewältigen kann. Also bin ich gezwungen, länger zu bleiben.“

Nils Böhlke von verdi-NRW: „Es ist kein Geheimnis, dass es darum geht, Personalkosten zu sparen und die Umsätze gegen die Personalkosten zu rechnen, um bestimmte Zielvorgaben zu erreichen.“

DAS EXPERIMENT

Wie stark die Mitarbeiter tatsächlich körperlich beansprucht werden, zeigt ein Experiment der Doku-Macher. Sie setzen eine Testperson der üblichen Arbeitsbelastung eines Discounter-Angestellten beim Regaleinräumen aus, messen anschließend die Beanspruchung von Muskeln und Gelenken.

Ergebnis: Das ständige Bücken, Knien oder Über-Kopf-Arbeiten belastet den Körper übermäßig. Der Arbeitswissenschaftler Prof. André Kloßmann nennt mögliche Folgen: „Erkrankung oder Beschwerden der Muskulatur oder des Gelenksystems bis hin zu Verschleißerscheinungen der Knie oder der Schultergelenke.“

DIE SAUBERKEIT

Ein weiteres Problem in einigen Discounter-Filialen: die Hygiene. Eine Norma-Mitarbeiterin zeigt Handyfotos von Mäusefallen, behauptet: „Mäuse laufen rum, springen im Lager von Paletten. Man hat halt andere Aufgaben. Also kann man auf die Hygiene nicht so achten.“

Der frühere Lebensmittelkontrolleur Franz Josef Voll bestätigt solche Fälle, sagt: „Der Winter ist eine riesige Schwachstelle. Die Mäuse drängen nach innen, weil es kalt ist.“ Immerhin etwas beruhigend: In je vier auf Keime getesteten Filialen von Lidl, Netto und Norma gab es keine gesundheitlich schädliche Belastung.

Nur über eine Filiale sagt Franz Josef Voll nach Mäusekot und dreckigen Auslagen: „Die hätte ich geschlossen!” Abgesehen von solchen Einzelfällen schneiden die meisten Discounter in diesem Punkt gut ab.

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