Tuesday, 7th May 2024
7 Mai 2024

Radikal und stillos: Joachim Löws fünf Minuten

Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng müssen sich eiskalt abserviert vorkommen. Löw wählt wieder einmal den falschen Weg. Ein Kommentar.

Vergangene Zeiten. Mats Hummels und Thomas Müller spielen unter Joachim Löw keine Rolle mehr.

Im Fußball können fünf Minuten eine quälend lange Zeit sein, in einem engen Spiel etwa. Fünf Minuten können für Fußballprofis aber auch eine miserabel kurze Zeit sein, wenn innerhalb derer ganze Karrieren zertrümmert werden. Was wird Mats Hummels wohl gedacht haben, als ihm Joachim Löw am Dienstag in knappen Sätzen mitteilte, dass er nicht mehr für Deutschland spielen werde? Hummels, wortgewandt und eigentlich nie um einen Satz verlegen, schweigt anderntags immer noch.

Und erst Thomas Müller, der schlagfertigste aller Nationalspieler. 100 Spiele hat er für sein Land bestritten, wegen seiner Art auf und neben dem Platz vom Mannschaftspsychologen Hans-Dieter Hermann als Geschenk des Himmels betitelt – auch er sucht noch nach Worten. Einzig Jerome Boateng, dem Löw bereits im November eine vorübergehende Pause von der Nationalelf verschrieben hatte, fiel nicht ganz aus den Wolken. Er sei traurig, weil er gern ein Teil dieser Mannschaft war. Und ja, einen anderen Abschied hätte er sich schon gewünscht.

Einschnitt lässt tief blicken in die Führungskultur

Das ist verständlich. Dabei geht es weniger darum, ob Löws Entscheidung nachvollziehbar ist, sondern darum, ob Zeitpunkt und Art und Weise richtig sind. Diese drei Spieler müssen sich eiskalt abserviert vorkommen. Jeweils fünf Minuten soll Löw nacheinander mit ihnen gesprochen und seinen Entschluss mitgeteilt haben. Für das Warum lassen sich gute Gründe finden, für das Wann und Wie nicht. Und so lässt dieser Einschnitt tief blicken in die Führungskultur der Nationalelf. Wieder einmal.

Vor allem wirkt der Zeitpunkt willkürlich. Den Generationswechsel hätte Löw bereits vor der WM anschieben, nach der WM aber vollziehen müssen. Natürlich ist Boateng nicht mehr der, der im WM-Finale von Rio das Spiel seines Lebens bestritt – er war ein wahres Naturereignis. Vier Sommer später, bei der WM in Russland, wollte Löw in einer Mischung aus Arroganz und Ignoranz Naturgesetze außer Kraft setzen. Dabei hatte er doch erlebt, wie Italien, der Weltmeister von 2006, vier Jahre später die Zeichen der Zeit verkannt hatte und mit seiner in die Jahre gekommene Riege um Gattuso, Camoranesi, Cannavaro und Zambrotta als Gruppenletzter scheiterte.

Nicht leicht. Joachim Löw wird lange gegrübelt haben, ehe der Entschluss stand, der Thomas Müller überraschte.

Im Moskauer Sommer wehte die Zeit über Löw hinweg, weil er das Prinzip Verdienst über das der Leistung stellte. Dabei war bei Boateng die Schaukelpferdhaftigkeit in seinen Bewegungen ebenso unübersehbar wie die Schnelligkeitsdefizite bei Hummels. Und selbst Müller hatte das Hühnerdiebhafte in fremden Strafräumen verloren. Sie alle wirkten geschlaucht. Hinzu kam vielleicht eine Prise Sattheit, doch auch den Weltmeistertrainer hatte eine merkwürdige Trägheit überfallen.

Löw wählt wieder einmal den falschen Weg

Nun hat sich Löw für Tatkraft entscheiden. Aber wieder einmal wählt er den falschen Weg. Denn es trifft nicht nur verdiente Spieler mit zusammen 246 Länderspielen, sondern auch Wortführer der Mannschaft, die dem Mannschaftsrat angehörten. Auch deshalb wirkt ihre formlose Aussortierung stillos. Bereits im Fall Michael Ballack hatte Löw das Händchen gefehlt. Ballack verletzte sich kurz vor der WM 2010, Löw übertrug Philipp Lahm die Kapitänsbinde, die dieser hinterher nicht wieder hergeben wollte – ein einmaliger Vorgang, gedeckt von Löw. Ballack, bis dahin fast ein Jahrzehnt lang einziger deutscher Spieler von Weltformat (mit einer zugegeben speziellen Art der Führung), bekam unter Löw nie wieder eine Chance. Viele Jahre später bedauerte Löw, dass Ballack keinen besseren Abgang aus der Nationalmannschaft hatte.

Den hatten zuletzt nur Miroslav Klose, Philipp Lahm und Per Mertesacker, die gleich nach dem Triumph von Rio von sich aus zurücktraten. Mit Ausnahmen gilt das vielleicht noch für Podolski und Schweinsteiger. Sie durften noch eine Ehrenrunde bei der darauffolgenden EM drehen. Sportlich war ihr Dazutun entbehrlich.

Und so wirkt die Löwsche März-Radikalität auch ein bisschen so, als wolle sich hier jemand selbst retten. Einerlei. Für die künftige Konkurrenzfähigkeit der deutschen Elf in der anstehenden EM-Qualifikation wird das nicht so entscheidend sein. Doch zeigt sich die Größe eines Trainers oft genug im Kleinen. Manchmal in fünf Minuten.

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