Thursday, 16th May 2024
16 Mai 2024

Peter Niemeyer: „Ich fand das mit Otto Rehhagel ganz cool“

Abstieg, Aufstieg, Relegation: Im Interview spricht der Peter Niemeyer, der frühere Kapitän von Hertha BSC, über die turbulenten Jahre seit 2010.

Peter Niemeyer im Derby gegen den 1. FC Union.

Herr Niemeyer, als Sie im Sommer 2010 von Werder Bremen nach Berlin gekommen sind, war Hertha BSC gerade abgestiegen. Welche Erinnerung haben Sie an die Stimmung im und um den Verein?

Generell war das natürlich eine komplizierte Situation. Ein Jahr zuvor hatte der Verein noch um die Meisterschaft mitgespielt – und plötzlich findet er sich in der Zweiten Liga wieder. Ich nehme an, dass das nicht einfach war.

Sie nehmen an?

Ich bin erst am Ende der Vorbereitung nach Berlin gekommen, wenige Tage vor der ersten Runde im DFB-Pokal. Da waren die Wunden schon geleckt. Es gab sogar wieder eine Aufbruchsstimmung, von wegen: Wir packen’s an. Wir machen diesen Ausrutscher wieder wett. Ich kann mich noch erinnern, dass bei unserem ersten Spiel ein Transparent im Stadion hing, auf dem sinngemäß stand: Jetzt marschieren wir durch die Zweite Liga. Das war auch die Stimmung in der Mannschaft. Erst recht nach dem ersten Spiel gegen Oberhausen. Wir haben 0:1 zurückgelegen und noch 3:2 gewonnen. Da war der Bann gebrochen, und danach hatten wir echt ein geiles Zweitligajahr.

Beim Auftakt gegen Oberhausen waren 50.000 Zuschauer im Olympiastadion. Das spricht nicht gerade für eine tiefe Depression in der Stadt.

Das war echt krass. Ich kam aus Bremen, wo die Fans einerseits sehr verwöhnt waren, weil sie immer Hurrafußball geboten bekommen haben. Andererseits konnten die auch sehr, sehr kritisch sein, wenn es mal nicht lief. Und dann wechselst du zu einem Absteiger, denkst, dass du dir erst einmal wieder Kredit erarbeiten musst – und dann kommen 50.000 zum ersten Heimspiel gegen Oberhausen. Das war natürlich ein Mega-Startschuss für uns.

Was hat sie damals bewogen, von einer Top-Mannschaft der Bundesliga in die Zweite Liga zu wechseln?

Hertha war ja immer noch ein Riesenverein. Ich hatte einfach das Gefühl, dass der Abstieg nur ein Ausrutscher war und dass ich bei Hertha mithelfen kann, etwas aufzubauen. Und zwar in einer ganz anderen Position als in Bremen. Wenn man mal ehrlich ist, war ich bei Werder unter den ganzen Stars doch nur ein Mitläufer. Einer, der zwar immer zu seinen Einsätzen gekommen ist, wenn jemand verletzt war. Aber ein Hauptdarsteller war ich bei Werder nie.

Und für Sie hat Hertha damals nur für eine Saison Zwangsurlaub in der Zweiten Liga gemacht.

So ungefähr. Für mich war das ein halber Schritt zurück, um im Jahr darauf zwei Schritte nach vorne zu machen.

Wie lange haben Sie gebraucht, um sich bei Hertha und in Berlin heimisch zu fühlen?

Bei Hertha ging das sehr schnell. Das war einfach eine geile Zeit mit den Typen, die wir in der Mannschaft hatten, mit Maikel Aerts, André Mijatovic und besonders dem Trainerteam Markus Babbel und Rainer Widmayer. Das passte im ersten Jahr super. Dadurch habe ich mich in diesem Verein sofort sehr wohl und auch heimisch gefühlt. Was ich von der Stadt nicht unbedingt sagen kann. Da habe ich echt ein bisschen gebraucht.

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Warum?

Das war für mich ein Kulturschock. Ich kam vom platten Land.

Immerhin aus Bremen.

Ja, aber Bremen wird auch das Dorf mit der Straßenbahn genannt. In Berlin hast du U-Bahn, S-Bahn und Tram zugleich. Da musste ich mich erst einmal klar kommen. Aber auch das hat sich längst geändert.

Hertha ist 2011 souverän aufgestiegen, anschließend gut in die Bundesligasaison gestartet. Die Mannschaft hat unter anderem beim Meister Dortmund gewonnen und stand im Winter auf Platz elf. Was ist danach schief gelaufen?

Die Rückrunde war für mich ein sehr schwieriges, aber auch ein sehr lehrreiches halbes Jahr – weil man einfach gemerkt hat, wie fragil so ein Gebilde ist. Wie schnell es den Bach runtergehen kann, wenn Puzzleteilchen nicht mehr zueinander passen. Die Wunden haben richtig schön geeitert. Das war krass.

Sie hatten in fünf Jahren bei Hertha fünf Cheftrainer, plus zwei Interimstrainer.

Deswegen freue ich mich, dass der Klub jetzt wieder eine ruhigere Phase erlebt, dass Hertha endlich ein stabiler Erstligist ist, der wieder nach oben schauen kann. In den fünf Jahren, in denen ich da war, war das leider nicht immer der Fall. Wir waren immer irgendwie Suchende, hatten viel mit uns selbst zu tun. Es gab zwar auch stabilere Phasen, aber dann haben wir diese Stabilität auch wieder verloren. Nach überragenden Hinrunden war die Rückrunde dann nicht mehr so gut. Auch nach unserem ersten Aufstieg, als nach der Winterpause auch nicht mehr viel zusammenpasste.

Erst kam Michael Skibbe für Markus Babbel, dann Otto Rehhagel für Skibbe. Wissen Sie noch, wie Sie erfahren haben, dass Rehhagel Ihr Trainer wird?

Ja. Und wissen Sie was: Ich fand das eigentlich ganz cool. Die Vereinsführung hat sich ja auch was dabei gedacht, und das hat anfangs sogar funktioniert. Otto Rehhagel war eine Trainerlegende, die wahnsinnig viel erreicht hatte. Natürlich war er schon ein älteres Semester, aber es war Wahnsinn, wie er belagert wurde, wenn wir irgendwo am Flughafen angekommen sind. Egal wo, Rehhagel wurde von jedem nach einem Autogramm oder einem Foto gefragt. Dabei war ihm das gar nicht so recht, weil er eigentlich ein sehr zurückhaltender Mensch ist.

Das war auch die Idee hinter der Verpflichtung: Rehhagel gibt die Galionsfigur für die Öffentlichkeit, damit die Mannschaft in Ruhe arbeiten kann. Warum hat das nicht funktioniert?

Wenn du einmal in einen Strudel gerätst, ist es schwer, da wieder rauszukommen. Und ich glaube, dass wir längst in diesem Strudel drin waren, als Otto Rehhagel kam. Du konntest eigentlich machen, was du wolltest: Wir haben das Schiff nicht mehr über Wasser halten können. Das hatte einfach schon zu viele Löcher. Auch Ante Covic und René Tretschok …

… Rehhagels Assistenten …

… haben ihr Bestes gegeben. Wir hätten es beinahe noch geschafft. Aber am Ende war der Abstieg die Summe aus ganz vielen Dingen, die schiefgelaufen sind.

Hatte die Mannschaft nach dieser Vorgeschichte schon vor der Relegation gegen Fortuna Düsseldorf latente Zweifel?

Überhaupt nicht. Am letzten Spieltag hatten wir Hoffenheim geschlagen und es dadurch erst in die Relegation geschafft. Da habe ich wirklich gedacht: Wir packen das. Aber dann sind die beiden Relegationsspiele so verlaufen, wie sie eben verlaufen sind. Und das, was danach kam, war wirklich das Schlimmste, was ich in meinem Leben mitgemacht habe.

Meinen Sie den Platzsturm in Düsseldorf oder das Nachspiel vor dem DFB-Sportgericht?

Vor allem die juristische Auseinandersetzung. Das hat mich ein Stück weit geprägt. Das werde ich nie vergessen. Mental war das extrem belastend.

Sie waren einer der Spieler, die in Frankfurt am Main vor dem Sportgericht aussagen mussten.

Wir sind morgens von Christoph Schickhardt …

… Herthas Anwalt …

… am Flughafen abgeholt worden, wurden kurz vom Richter belehrt und mussten dann stundenlang in einem Raum in der DFB-Zentrale warten. Da haben wir am BZ-Ticker die Verhandlung verfolgt. Als wir am späten Nachmittag endlich dran kamen, wussten wir gar nicht, was wir sagen sollen, weil es auch viel um Emotionen ging. Wir wollten dem Verein natürlich helfen. Das waren schon harte Tage.

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