Saturday, 20th April 2024
20 April 2024

Ansteckende Aggression? Hass gegen Politiker nimmt zu

Vielen Politikern und Staatsdienern schlägt im Internet oft der blanke Hass entgegen. Der Bedrohungsforscher Jens Hoffmann hat festgestellt: Aggression kann ansteckend sein.

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REGION – Sie werden beschimpft, bedroht oder sogar körperlich angegriffen: Immer mehr Lokalpolitiker oder Verwaltungsmitarbeiter erleben, dass die Wut mancher Bürger keine Grenzen mehr kennt. Der Darmstädter Bedrohungsforscher Jens Hoffmann erklärt, warum manchen das Glück der Freiheit gar nicht mehr bewusst ist.

Herr Hoffmann, woher kommt dieser Hass, mit dem Amtspersonen und Politiker überzogen werden?

Dieser Hass entwickelt sich schon seit einigen Jahren. Ein Teil der Bevölkerung hegt ein großes Misstrauen gegenüber dem Staat.

Es mag äußere Anlässe geben. Es braucht aber schon einen inneren Antrieb, damit ein Mensch mit Pöbeleien, Drohungen oder gar Gewalt Misstrauen oder Unzufriedenheit ausdrückt.

Wir erleben eine Radikalisierung, die nicht nur politischer Natur ist. Das begann mit dem Auftreten der sogenannten „Reichsbürger“, die dem Staat seine Legitimität absprechen. Und in den sozialen Netzwerken sind mittlerweile Parallelwelten entstanden, in denen es nur noch Schwarz oder Weiß gibt. Hier werden Rechtfertigungen für aggressives Verhalten entwickelt.

Zur Person:

Dr. Jens Hoffmann ist Leiter des Instituts für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt. An der TU Darmstadt hat der Kriminalpsychologe ein wissenschaftliches System zur Risikoabschätzung von Gewalttaten, etwa an Schulen, entwickelt.

Ist der Firnis der Zivilisation so dünn, unter dem sich Menschenverachtung oder blanke Rohheit verbergen?

Tatsächlich kann der Firnis sehr dünn sein. Deshalb ist es wichtig, dass die Gesellschaft ihre Werte verteidigt und ihre Achtung vor anderen Menschen deutlich zum Ausdruck bringt.

Früher waren Polizisten, Feuerwehrleute oder Bürgermeister Respektspersonen, in deren Gegenwart die Bürger auf gutes Benehmen achteten. Heute werden sie von vielen Menschen als Fußabtreter für ihren persönlichen Ärger angesehen.
Wie ist dieser Wandel zu erklären?

Es gibt einen Verlust von Respekt vor bestimmtem Berufsgruppen – beispielsweise von Rettungskräften. Die wichtige Funktion dieser Menschen wird gar nicht mehr richtig wahrgenommen. Außerdem: Aggression kann ansteckend sein. Menschen treffen sich zu „Krawall-Events“, wie es sie früher nur am Rande mancher Fußballspiele gab.

Freiheit, Sicherheit: Die Ansprüche der Bürger an den deutschen Staat werden verlässlich eingelöst, die Behörden haben sich von Trutzburgen der Obrigkeit zu Dienstleistern gewandelt. Doch treten ihnen auffällig viele Menschen respektlos, beleidigend, unverschämt oder geradezu aggressiv gegenüber. Überfordert uns die Freiheit?

Die Besonderheit und das Glück der Freiheit und der Rechtsstaatlichkeit sind manchen Menschen gar nicht mehr bewusst. Und wer dieses Bewusstsein nicht hat, empfindet oftmals nichts dabei, diese Werte zu beschädigen oder einzureißen.

Reden wir von wenigen spektakulären Einzelfällen oder gibt es tatsächlich einen gesellschaftlichen Trend hin zu einem schlechten Benehmen oder zu Aggressivität?

Es gibt immer noch viele Menschen, die höflich und achtsam sind. Aber es gibt auch Gruppen, die sich im Rowdytum verbünden. Das Phänomen ist mit den sozialen Netzwerken entstanden. Früher hätten sich diese Menschen nicht so leicht zusammenfinden können.

Schon Grundschüler berichten von Ausgrenzung, Hänseleien oder gewalttätigen Übergriffen. Wächst hier eine neue, noch aggressivere Generation heran?

Das lässt sich noch nicht vorhersagen. Ich denke, es wird eine größere Spaltung geben. Es gibt junge Menschen, die stark auf das Gemeinwohl achten. Wir erleben sie gerade bei den Protesten gegen die Versäumnisse in der Klimapolitik. Andere wachsen in Familien auf, die sich allein gelassen fühlen und daraus eine Rechtfertigung zur Gewalt ableiten. Kinder werden in unterschiedlicher Weise sozialisiert. Hier spielt die Schule eine wichtige Rolle, um positiv auf Kinder und Jugendliche einzuwirken.

Viele Menschen verspüren Ängste – Zukunftsangst, Verlustangst – und werfen dem Staat daher vor, er lasse sie mit ihren Sorgen allein. Haben wir es verlernt, mit diesen Ängsten richtig umzugehen?

Vielleicht ist das eine Reaktion auf die technische Revolution, die wir gerade erleben. Manche fühlen sich überfordert durch die Digitalisierung, durch die steigende Komplexität, den beschleunigten Wandel. Nicht alle finden sich in diesem veränderten Leben zurecht. Und das kann Angst, Frustration und Wut erzeugen.

Gibt es diese Phänomene auch in anderen Ländern?

Im europäischen Fachverband für Bedrohungsmanagement haben Kollegen aus den Niederlanden und Österreich ähnliche Erfahrungen geschildert.

Wie kann sich die Gesellschaft gegen die zunehmende Verrohung wehren? Und wie können Verwaltungsmitarbeiter oder Politiker vor Hetze, Hass und Übergriffen geschützt werden?

Am besten wäre es, die Anonymität von Aggressoren aufzuheben. Wenn deren Übergriffe folgenlos bleiben und strafrechtliche Verfahren wegen Nichtigkeit eingestellt werden, ist das ein falsches Signal. Wir müssen die Demokratie verteidigen und die Menschen in Ämtern und Behörden schützen.

Haben Sie den Eindruck, dass die Strafverfolger hier säumig oder nachlässig sind?

Ich denke eher, dass sie mittlerweile von der Häufung der Vorfälle überfordert sind. Wichtig wäre es, dass es bei der Polizei spezielle Ansprechpartner gibt.

Wie können die Betroffenen vorbereitet werden, um mit Bedrohungen umzugehen?

Leiterinnen oder Leiter von Behörden müssen ganz klar signalisieren, dass sie sich verantwortlich fühlen und die Mitarbeiter nicht allein lassen. Sie müssen deutlich machen, dass Bedrohungen nicht hingenommen werden und Angriffe scharfe Konsequenzen haben. Solche Grenzziehungen funktionieren.

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