Wednesday, 17th April 2024
17 April 2024

Zivilcourage: „Es gibt immer etwas, was man tun kann“

Als im April ein kippatragender junger Mann in Berlin zunächst beschimpft und anschließend körperlich angegriffen wird, geht Janina Levy dazwischen. Für ihr Eingreifen wird sie nun ausgezeichnet.

Der Vorfall sorgte bundesweit für Entsetzen: Zwei junge Männer mit Kippas auf dem Kopf werden in Berlin auf offener Straße einem jungen Syrer, der in einer Gruppe unterwegs ist,beschimpft. Einen der beiden Männer attackiert er mit einem Gürtel. Das Opfer, Adam A., nimmt mit dem Handy ein Video auf und stellt es ins Netz. Darauf ist zu sehen, wie der Angreifer auf Arabisch „Jude“ ruft. Im DW-TV erklärt A. später, er sei ein arabischer Israeli und kein Jude. Die Kippa habe er als eine Art Experiment getragen, weil er gehört habe, das sei in Deutschland gefährlich. 

Nicht nur diese Aussage sorgt für Diskussionen. Im Prozess um den Fall bestreitet der Täter Knaan Al S. antisemitische Motive. Die Kippa will er erst während des Angriffs gesehen haben, „Jude“ sei als Schimpfwort üblich, zudem sei er von A. beleidigt worden. Der gibt an, mit dem Angreifer kein Wort gewechselt zu haben. Zwei Monate nach dem Übergriff wird Al S. wegen Beleidigung und gefährlicher Körperverletzung zu vier Wochen Jugendarrest verurteilt.

Dass die Situation im April nicht weiter eskalierte, hat auch mit Janina Levy zu tun. Sie schritt rechtzeitig und kümmerte sich im Anschluss um die Opfer. Später stellte sie sich beim Landeskriminalamt und vor Gericht als Zeugin zur Verfügung. Der Förderkreis „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ verleiht ihr nun für ihr Engagement den mit 3000 Euro dotierten „Preis für Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus“.

DW: Frau Levy, Sie waren während des Übergriffs im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg zufällig vor Ort. Wie hat sich der Vorfall aus Ihrer Sicht abgespielt?

Janina Levy: Ich saß in einem Restaurant an der Ecke Lychenerstraße und Raumerstraße, wartete auf meine Bestellung und sah, wie sich diese Situation auf den gegenüberliegenden Straßenseiten anbahnte. Ich sah zwei Kippa tragende Jungs und auf der anderen Seite circa drei Jugendliche. Ich wusste, dass sie arabischstämmig waren, weil sie auf Arabisch Schimpfworte in Richtung der anderen Jugendlichen riefen. Ich bin selbst israelischstämmig und wenn in Israel geflucht wird, werden viele arabische Worte benutzt. Ich verstand also, was gesagt wurde, deswegen hatte die Situation sofort meine Aufmerksamkeit. Das Ganze spitzte sich zu, die beiden Jungs waren verängstigt, liefen schneller. Das spätere Opfer, Adam, wollte sich das alles nicht gefallen lassen und sagte, dass die anderen aufhören sollten.

Dann verschwanden beiden Gruppen aus meinem Blickwinkel. Ich hörte einen Tumult, es wurde laut. Ich ließ alles stehen und liegen, rannte auf die Situation zu und schrie „Stopp! Stopp! Ich rufe die Polizei! Hört auf!“. Was ich beobachtete, war, dass einer der arabischstämmigen Jugendlichen mit einem Gürtel auf das Opfer einschlug. Ich hätte mich auch körperlich dazwischengeworfen, das musste ich aber nicht, weil der Täter abließ – ich vermute, weil er gemerkt hatte, dass die Situation Aufmerksamkeit bekam, und sich jemand einmischte. Dann entbrannte noch eine kleine Diskussion zwischen dem Täter und mir. Ich habe gesagt, dass wir in Deutschland seien, dass man so etwas hier nicht macht und er abhauen soll. Es gab einen kurzen Moment, in dem er auf mich zukam und ich dachte: „Was passiert jetzt?“ Glücklicherweise riss sein Freund ihn zurück.

Ihre Sprachkenntnisse haben Ihnen geholfen, die Situation einzuschätzen. Hat das bei Ihrer Entscheidung, dazwischen zu gehen, eine Rolle gespielt? Glauben Sie, Sie wären auch bei einem anderen Vorfall eingeschritten?

Ich wäre bei jedem Vorfall eingeschritten, in dem jemand zu Unrecht drangsaliert, geschlagen oder beschimpft wird. Ich bin ein Mensch mit sehr viel Gerechtigkeitssinn. Das sind ja Mitmenschen, und man darf nicht dulden, wenn jemand ungerecht behandelt wird. Ich werde oft gefragt, ob ich meine Tat als preiswürdig oder mutig empfinde. Meine Tat war nicht mutig, sie war menschlich.

In einem anderen Interview haben Sie kritisiert, dass andere Personen, die sich ebenfalls in der Nähe des Tatorts aufhielten, nicht eingeschritten seien. Warum halten sich manche Menschen Ihrer Meinung nach aus solch einer Situation heraus?

Es gibt sicherlich Menschen, die etwas machen würden, die aber Angst haben sich einzumischen. Das ist völlig gerechtfertigt. Wäre der Täter auf mich zugekommen und hätte mich geschlagen oder ein Messer gezogen, hätte das auch ganz anders für mich ausgehen können, das muss man ganz ehrlich sagen. Deshalb will ich nicht anklagen, sondern ermutigen. Den Menschen, die das Gefühl haben, das geht mich etwas an, aber ich weiß nicht, was ich tun soll, weil ich Angst habe, diesen Menschen kann ich nur zurufen: Es gibt immer etwas, was man tun kann. Man kann laut rufen, man kann die Polizei rufen, man kann zum Nachbartisch gehen und sagen: „Lasst und in diese Situation einschreiten.“ Es gibt aber leider auch viele Menschen, die einfach abgestumpft und mit sich selbst beschäftigt sind, die sagen, „das geht mich nichts an, warum soll ich mich da jetzt einmischen?“, und aktiv entscheiden, es nicht zu tun. Das finde ich furchtbar.

Sie sind auch nach der Tat mit dem Opfer in Kontakt geblieben. Warum?

Weil ich Adam wissen lassen wollte, dass es mehr Leute wie mich gibt. Ich glaube, in einer solchen Situation zu erleben, dass sich keiner einmischt, dass keiner für einen da ist, ist ganz schwierig. Ich glaube, dass man sich in dieser Situation von der ganzen Welt alleine gelassen fühlt. Mir war es wichtig, Adam zu sagen: Nur, weil in diesem Moment kein anderer eingeschritten ist, heißt das nicht, dass es nicht andere Menschen gib, die eingeschritten wären.

In den vergangenen zwei Jahren haben immer wieder antisemitische Übergriffe in Deutschland für Schlagzeilen gesorgt, etwa die im Internet vielfach geteilten verbalen Angriffe gegen den Berliner Restaurant-Besitzer Yorai Feinberg im vergangenen Dezember oder im Juli die Gewalt gegen einen Syrer, der eine Davidsternkette trug. Nehmen Sie persönlich eine wachsende antisemitische Stimmung hierzulande wahr?

Vor zwei, drei Jahren, als Israel den Krieg gegen Gaza führte, hatte ich das Gefühl, dass die Stimmung umgeschlagen war und man diese Situation nutzte, um bestimmte Dinge sagen zu dürfen. Warum Israel Krieg geführt hat, hat die meisten nicht interessiert. Historisch sind die meisten nicht bewandert und können die Situation dementsprechend nicht einschätzen. Aus den Israelis wurden ganz schnell die Juden. Da wurde Antisemitismus aus meiner Sicht ganz offen gelebt, weil man vermeintlich eine politische Rechtfertigung dafür hatte.

Will andere Menschen dazu ermutigen, Zivilcourage zu zeigen – auch in gefährlichen Situationen: Janina Levy

Antisemitismus hat es in Deutschland immer gegeben. Ich habe selbst Übergriffe erlebt, das ist über 20 Jahre her. Ich habe aber den Eindruck, dass man sich heute mehr traut, seine Meinung kundzutun. Und das liegt sicherlich auch daran, dass es jetzt mit der AfD eine Partei mit wachsendem Zulauf in Deutschland gibt, die das populär macht. Es hat in der Vergangenheit eine gewisse Korrektheit gegeben, und die geht immer mehr verloren. Die Wortwahl wird brutaler, auch im Parlament: „Kopftuchmädchen“, „Asyltourismus“ und was es da nicht alles an Wortkreationen gibt. Das ist eine starke Verrohung. Wir haben außerdem jetzt mehr muslimische Mitbürger in unserem Land, die aus einer anderen Sozialisierung kommen und denen schon in frühester Kindheit beigebracht wird: Juden sind schlechte Menschen. Wenn wir solche Menschen in unserem Land aufnehmen, haben wir als Gesellschaft auch den Auftrag, sie zu integrieren, sie besser auszubilden und ihnen klarzumachen, dass wir hier in Deutschland anders denken.

Was bedeutet Ihnen der Preis, der Ihnen heute für Ihr Eingreifen verliehen wird?

Ich finde meine Tat wie gesagt nicht besonders preiswürdig oder mutig. Wenn aber dieser Preis dazu beiträgt, dass die Menschen vielleicht doch einmal hinhören und eine größere Bereitschaft zeigen, für ihre Mitmenschen einzustehen, dann freue ich mich sehr darüber, dass ich dazu beitragen kann, dass sich vielleicht eine Kleinigkeit verändert.

Das Gespräch führte Helena Kaschel.

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