Thursday, 18th April 2024
18 April 2024

Die Kläranlage fürs letzte Dorf: Leipziger Forscher bekämpfen Wassermangel

Jordanien leidet unter extremer Wasserknappheit.

Von Frauke Niemeyer, Amman


Hitze, Dürre, leere Tanks: In vielen Ländern wird das Wasser knapp. Dabei lässt sich etwas dagegen tun. Dies beweisen vier Leipziger Forscher, die nun den deutschen Umweltpreis erhalten. Ihr Idee ist ebenso simpel wie wirksam.

Die Weltbevölkerung wächst, die Süßwasserreserven schrumpfen. Das kleine Jordanien erfährt schon heute, wie sich die Bedrohung der Zukunft anfühlen wird. Wie in einem Versuchslabor spielen hier alle Faktoren zusammen, die Trinkwasser knapp werden lassen. Im Sommer kein einziger Tropfen Regen, im Winter Sintfluten wie am vergangenen Donnerstag, die zum todbringenden Sturzbach werden, weil sie im ausgedörrten Boden nicht versickern. Doch es lässt sich etwas dagegen tun, wie vier Wissenschaftler aus Leipzig in Jordanien bewiesen. Dafür überreicht ihnen an diesem Sonntag Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Deutschen Umweltpreis.

Die Preisträger aus Leipzig: Manfred van Afferden, Roland Müller, Mi-Yong Lee und Wolf-Michael Hirschfeld.

 Einer der Forscher vom Leipziger Umweltforschungszentrum ist der Biologe Roland Müller. Jordaniens Wassernot war für ihn in einer Situation immer besonders spürbar: "Wenn das Hotel wegen Wassermangels mal wieder die Dusche abgestellt hat." Dass der Wassertank leer ist, ist nichts Besonderes im Königreich Jordanien. Jeder Haushalt wird nur einmal pro Woche mit Wasser versorgt, das dann in einen Tank aufs Dach des Hauses gepumpt wird. Eine Tankfüllung für eine Woche: Damit kocht man, duscht, wäscht, spült nach dem Toilettengang, gießt den Garten. 140 Kubikmeter Wasser stehen Jordanien, dem zweit-wasserärmsten Land der Welt, zur Zeit pro Kopf und Jahr aus erneuerbaren Ressourcen zur Verfügung. Die international definierte Marke für "extremen Wassermangel" liegt bei 500 Kubikmeter.

"Schon bevor die syrischen Flüchtlingsströme eingesetzt haben, war das Wasser knapp", sagt Müller, "aber jetzt spüren wir, dass Jordanien eine Krise in der Krise hat." "Wir" – das sind Müller und seine Kollegen Manfred van Afferden, Mi-Yong Lee und Wolf-Michael Hirschfeld. Die Wissenschaftler aus Deutschland haben sich vor zwölf Jahren gemeinsam dem Ziel verschrieben, Jordanien zu einem Modell für die Lösung vieler globaler Wasserprobleme zu machen.

Neues Denken hat Jordanien dringend nötig: In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Menschen im Land verdoppelt. Doppelt soviel Bedarf an Trinkwasser, doppelt so große Mengen an Abwasser – gleich zwei massive Probleme. Und ein altes Denkmuster. Die vier Forscher denken anders – sie sehen Trinkwasserbedarf als Problem und Abwasser als Lösung. Und sind damit Vorreiter eines noch jungen globalen Trends.

"Oh Gott, wo sollen wir hier bloß anfangen?"

In ihrem Wasserreport 2017 stellen die Vereinten Nationen (UN) das Abwasser als "verlässliche alternative Quelle der Wasserversorgung" heraus. Tatsächlich würde sich gereinigtes Abwasser bestens zur Bewässerung in der Landwirtschaft eignen. Doch zur Zeit bewässert die Welt die meisten ihrer Äcker mit Frischwasser – 70 Prozent des global verbrauchten Wassers landen nicht in Mündern, sondern auf Feldern. Gleichzeitig, so bemängeln die UN, werden weltweit 80 Prozent des Abwassers ohne Reinigung abgeleitet. Viereinhalb Milliarden Menschen haben keine hygienische Toilette. "Auf unserer ersten Jordanien-Reise bin ich mit meinem Kollegen über die Dörfer gefahren und wir sahen übergelaufene Abwassergruben, sonst nichts", erinnert sich Roland Müller. "Wir dachten, oh Gott, wo sollen wir hier bloß anfangen?"

Das Problem: Diese Dörfer liegen 30, 50, 70 Kilometer von der nächsten Kläranlage entfernt, dazwischen womöglich eine Schlucht und zwei Berge, ein Kanal bis dorthin wäre schlicht nicht finanzierbar. Doch die Armen können es sich auch nicht leisten, ihren Abwassertank einmal die Woche leer pumpen zu lassen. Also "vergessen" viele Landbewohner beim Bau des Tanks den Boden und verseuchen so das Grundwasser. Immer wieder muss die jordanische Wasserbehörde verkeimte Trinkwasserbrunnen schließen. "Unser Gesetz verbietet, Abwasser in die Erde zu leiten", erklärt Ali Subah, Staatssekretär im Wasserministerium. "Aber wie soll ich das kontrollieren? Jeden Tank auf dem Land leer pumpen und nachschauen, ob er dicht ist? Wir müssen den Leuten eine Alternative bieten, gerade den armen Familien."

Die Alternative kommt aus Deutschland und klingt denkbar einfach: Wenn das Dorf nicht zur Kläranlage kommen kann, dann kommt die Kläranlage zum Dorf. Mit dieser Vision im Kopf begann das Leipziger Forschungsteam Klär-Technologien zu entwickeln, deren Ansprüche drastisch reduziert sind: ein Minimum an Platz, ein Minimum an Energie, ein Minimum an Wartung.

Weiterhin sind Bakterien für den Abbau der Schadstoffe zuständig, aber durch ein neu entwickeltes Belüftungssystem arbeiten sie viel effizienter. Das gereinigte Wasser kann für den Garten genutzt werden. Elf Modelle bauten die Wissenschaftler in Jordanien auf, wobei sie – im Gegensatz zu vielen Forschungsprojekten – nicht nur forschten und ihr Ergebnis präsentierten, sondern sich auch um die Anwendung kümmerten. Die Deutschen untersuchten Fragen wie: Welche Region braucht unsere Technik am dringendsten? Wer kann sie hier einbauen? Wie bekommen wir Politik und Bevölkerung mit ins Boot? Sie hätten die "Grenzen zwischen Forschung und Praxis" auf einmalige Weise überwunden, schwärmt dabei die Jury des Deutschen Umweltpreises.

Klinkenputzen in Jordanien

Damit ihre Innovation zur Anwendung kam, waren sich die Forscher fürs Klinkenputzen nicht zu schade. "Anfangs waren wir erschlagen von den vielen Ansprechpartnern. Wir haben anregende Gespräche geführt und kamen in der Sache überhaupt nicht weiter", sagt Müller. Allein acht Ministerien fühlten sich in irgendeiner Form zuständig, Müller und seine Kollegen regten an, ein Komitee zu gründen mit den acht Ressorts, mit Vertretern von Universitäten und Hilfsorganisationen, Unternehmen, Entwicklungsbanken, quasi mit jedem, der mitreden wollte. "Teilweise wurde es sehr laut in den Sitzungen, dann hörte der Dolmetscher auf zu übersetzen, und meine Kollegin fürchtete: Das wird nie was", erinnert sich Müller. "Aber das Komitee hat sich zu einem starken Instrument entwickelt, das an einem Strang zieht. Und eine Entscheidung, hinter der acht Ministerien stehen, die wird auch umgesetzt."

Für die Technik startete die Testphase unter jordanischen Bedingungen: Wie arbeiten die Bakterien bei 40 Grad im Schatten? Wie läuft die Pumpe weiter, wenn zum fünften Mal am Vormittag der Strom ausfällt? Wie verkraftet es eine Fünf Personen-Kläranlage, wenn zur Feier des Propheten-Geburtstags plötzlich die 30-köpfige Verwandtschaft anreist? Nach einigen Änderungen arbeitete die Technik passgenau für jordanische Verhältnisse. "Auf dem Testgelände konnte ich meinen Kunden zeigen, dass die kleinen Klärsysteme verlässlich funktionieren", erzählt Fares Wakileh, Anlagenbauer aus der Hauptstadt Amman. "Die Leute haben Angst, dass es stinkt, hässlich ist und sofort kaputt geht. Ich zeige ihnen: Es riecht nicht, die Technik ist simpel und robust, und ich baue sie euch unterm Parkplatz ein."

Die ersten 60 Pilotanlagen rangieren heute größenmäßig zwischen einem und 2500 Haushalten – zuweilen eingeweiht mit Häppchen und Blaskapelle. "Einmal saßen wir auch drei Stunden zum Interview im jordanischen Frühstücksfernsehen", erinnert sich Müller, "Das war ganz drollig." Und der Erfolg des Projektes strahlt über die Staatsgrenzen hinaus: Im Iran steht inzwischen auch eine von den Deutschen konzipierte Forschungsanlage, aus dem Oman liegt ein Auftrag vor.

Abwasser bewässert den Olivenhain

Unternehmer Wakileh präsentiert besonders gern die Kläranlage für das katholische Altenheim in Fuheis, einem Vorort von Amman. Mit dem gereinigten Abwasser bewässern die Ordensschwestern ihren Olivenhain neben dem Haus. "Die Bäume tragen so gut, dass wir unseren Überschuss an Olivenöl an Restaurants in der Umgebung verkaufen", erzählt Schwester Nuha. "Für die kommende Ernte gibt es schon Vorbestellungen." Damit die Schwestern sich um absolut nichts kümmern müssen, hat Wakileh hier technisch etwas aufgerüstet. "Die Kläranlage schickt mir eine SMS, wenn sie kaputt ist."

Satellitenbilder liefern den jordanischen Behörden heute die notwendigen Daten, um die Regionen auszumachen, wo der Handlungsbedarf am größten ist – auch dies mit Technologie aus dem deutschen Projekt. Mit all diesen Instrumentarien ausgestattet, denkt Staatssekretär Ali Subah in großen Dimensionen: "Abwasser sehen wir heute als eine unserer wichtigsten Ressourcen. Bis 2025 wollen wir 80 Prozent aller jordanischen Haushalte an ein Klärsystem anschließen. Das klingt kühn, aber wissen Sie was? Wir haben gar keine andere Wahl."

Nicht jeder Jordanier lässt sich von Innovationen so schnell überzeugen wie die Ordensschwestern. Und wenn die Innovation darin besteht, das eigene Abwasser ins Gartenbeet zu kippen, muss das Vertrauen in die neue Mini-Kläranlage schon ziemlich groß sein. Besonderen Spaß hatten die deutschen Wissenschaftler daran, die nächste Generation zu sensibilisieren – mit eigens entwickeltem Schulmaterial, Versuchsreihen, sogar arabischen Comics über sauberes Wasser. Bei Ali Subah im Ministerium wurde im Zuge dessen gleich ein Grundbesitzer vorstellig, um sich zu beschweren: "Seine Kinder hatten in der Schule das Thema "Wasser" durchgenommen und ihn anschließend zuhause angemeckert, er würde nicht nachhaltig mit dieser wichtigen Ressource umgehen."

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