Thursday, 18th April 2024
18 April 2024

Tsingtau 1914: Historiker sucht Zeugnisse von Zeitzeugen

Rund 4500 deutsche Soldaten gerieten 1914 in japanische Kriegsgefangenschaft – einer von ihnen war Karl Merck aus der Darmstädter Industriellenfamilie.

MAINZ/DARMSTADT – Im November jährt sich das Ende des Ersten Weltkriegs (1914-1918) zum 100. Mal. Dass die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, wie Historiker den ersten globalen Krieg in der Geschichte nannten, von der Mitte Europas ihren Ausgang nahm, gehört zum Allgemeinwissen. Dass deutsche Soldaten aber nicht nur im Westen und Osten Europas, sondern auch in Asien für Kaiser und Vaterland kämpften, dürfte weniger bekannt sein: Am 7. November 1914 fiel nach wochenlanger Belagerung durch britische und japanische Truppen der deutsche Stützpunkt Tsingtau (auch: Qingdao), Hauptstadt des seit 1898 in deutscher Hand befindlichen chinesischen Pachtgebiets Kiautschou. Rund 4500 deutsche Soldaten gerieten in japanische Kriegsgefangenschaft. Die meisten von ihnen kehrten erst im Frühjahr 1920 in die Heimat zurück – in ein Deutschland, das ihnen fremd vorkam. Kaiser Wilhelm II. hatte abgedankt, die erste deutsche Republik (Weimarer Republik) war ausgerufen worden.

Rückkehr nach Deutschland in eine ungewisse Zukunft

Auf diese Menschen und ihre Erlebnisse konzentriert sich derzeit des Interesse des deutsch-japanischen Historikers Dr. Takuma Melber (Universität Heidelberg). Der 35-Jährige hat in Mainz studiert und gilt als anerkannter Experte für japanische Geschichte im Zeitalter der Weltkriege. In seinem aktuellen Forschungsprojekt befasst er sich mit der Repatriierung deutscher Soldaten nach ihrer Heimkehr aus Fernost am Ende des Ersten Weltkriegs.

„Wir wissen noch vergleichsweise wenig über das Leben deutscher Soldaten in japanischen Kriegsgefangenenlagern“, sagt Melber. „Noch weniger wurde der Aspekt beachtet, dass für diese Soldaten mit der deutschen Kapitulation 1918 der Krieg mitnichten beendet war. Während auf der Pariser Friedenskonferenz Kriegssieger und -verlierer miteinander verhandelten, warteten diese Soldaten auf ihre Rückführung aus den japanischen Lagern. Sie blickten dabei in eine ungewisse Zukunft.“

KONTAKT

Hinweise bitte per E-Mail an takuma.melber@asia-europe.uni-heidelberg.de oder postalisch an Dr. Takuma Melber, Heidelberg Centre for Transcultural Studies, Universität Heidelberg, Voßstr. 2, Gebäude 4400, 69115 Heidelberg.


Hundert Jahre nach Kriegsende leben noch Enkelkinder deutscher Soldaten, die in Fernost in japanische Kriegsgefangenschaft geraten sind. Manche von ihnen haben möglicherweise Nachlässe ihrer Großväter aufbewahrt. „Vielleicht bietet sich jetzt, hundert Jahre nach Kriegsende, die letzte Chance, um an Selbstzeugnisse der ‚Tsingtauer‘ zu gelangen“, hofft Melber.

Auch zahlreiche Soldaten aus dem heutigen Einzugsgebiet der VRM gerieten damals in japanische Gefangenschaft. Einer von ihnen war Karl Merck aus der gleichnamigen Darmstädter Industriellenfamilie. Er war im Gefangenenlager Kurume auf der japanischen Insel Kyushu untergebracht, von wo er erst 1920 nach Darmstadt zurückkehrte und wieder Teil der Geschäftsleitung des damals schon weltbekannten Pharma- und Chemiekonzerns Merck wurde.

„Jeder noch so kleine Nachweis hilft uns weiter“

Melbers Bitte: Wer im Besitz von Nachlässen, Tagebüchern, Fotos, Feldpost oder Ähnlichem ist, möge sich bitte mit ihm in Verbindung setzen (siehe Kasten). „Jeder noch so klein erscheinende Nachweis hilft uns weiter.“ Es werde auch über ein wissenschaftliches Digitalisierungsprojekt nachgedacht, um das Andenken an die deutschen „Tsingtauer“ der Nachwelt zu erhalten.

By:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert