Wednesday, 24th April 2024
24 April 2024

Gesundheitsminister Jens Spahn: Wir ziehen alle Register

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) spricht im Interview über die Suche nach Landärzten, stabile Beiträge und den Zustand der Volksparteien.

DARMSTADT – Seit Tagen tourt Gesundheitsminister Jens Spahn als Wahlkämpfer für seinen Parteifreund, Ministerpräsident Volker Bouffier, durch Hessen. Bei einem Redaktionsbesuch gestern in Darmstadt sprach er über Ärztemangel, Kassenbeiträge und den dramatischen Vertrauensverlust der Volksparteien.

Herr Minister, in vielen ländlichen Regionen schließen Ärzte reihenweise ihre Praxen, ohne einen Nachfolger gefunden zu haben. Was tut die Politik gegen diese dramatische Entwicklung?

Ich komme aus einem 3700-Seelen-Dorf. Ich weiß, wie wichtig der Arzt in der Nähe ist. Um das zu erhalten, ziehen wir alle Register.

Welche?

Wir haben schon viele finanzielle Anreize gesetzt, damit mehr Ärzte sich entscheiden, auf dem Land zu arbeiten. Aber Geld ist nicht alles. Ein Schlüssel liegt im Medizinstudium. Wir brauchen bei der Auswahl der Studierenden andere Kriterien als die Abi-Note. Hessen will wie Bayern und Nordrhein-Westfalen eine Landarztquote einführen, also einen Teil der Studienplätze für diejenigen reservieren, die sich verpflichten, für eine Zeit aufs Land zu gehen. Auch Digitalisierung kann eine enorme Hilfe sein: Online-Sprechstunden, Telemedizin und mehr.

ZUR PERSON

Jens Spahn ist seit März Bundesgesundheitsminister. Im Bundestag sitzt der 38 Jahre alte Münsterländer bereits seit 2002. Innerparteilich wird er zum konservativen Flügel der CDU gerechnet. Vor seiner Berufung ins vierte Kabinett von Angela Merkel war er mehrmals als Kritiker der Kanzlerin aufgefallen. (kl)


Glauben Sie, dass es ohne Zwang gehen wird?

Ärzte haben die freie Wahl, und sie werden überall gesucht. Ich kann einen Arzt nicht dafür bestrafen, wenn er sich weigert, aufs Land zu gehen. Aber: Wer sich über die Landarztquote verpflichtet, nach dem Studium auf dem Land zu arbeiten, der muss das auch einhalten. Ansonsten müssen die 250 000 Euro, die das Studium gekostet hat, zurückgezahlt werden.

Ein weiteres Thema ist die Versorgung von Kassenpatienten – Stichwort: 25 statt 20 Sprechstunden pro Woche. In der Ärzteschaft hat das für Unmut gesorgt.

Die Ungleichbehandlung von Kassenpatienten und Privatversicherten bei der Terminvergabe ist das größte Aufregerthema, das wir im Gesundheitswesen haben. Es untergräbt auch die Legitimität der privaten Krankenversicherungen. Der Vorwurf der Zweiklassenmedizin kommt ja daher. Es liegt im Interesse aller, dass wir das lösen – auch im Interesse der Ärzte.

Die meisten Ärzte haben schon heute mehr Sprechzeiten als die 25 Stunden. Was soll die Ausdehnung also bringen?

Die 25 Stunden stehen im Koalitionsvertrag, das war der Kompromiss, damit die von der SPD geforderte Bürgerversicherung nicht kommt. Und richtig: Wer diese Sprechstundenzeiten heute schon anbietet, für den hat das faktisch keine Auswirkung. Aber das ist ja nicht alles, was wir machen. Wir setzen doch eine Menge finanzieller Anreize: Immer dann, wenn Ärzte zusätzliche Patienten annehmen gibt es zusätzliches Honorar. Das kostet natürlich Geld.

Wie viel?

Wir gehen von 600 bis 700 Millionen Euro pro Jahr aus. Das Geld kommt gezielt bei denen an, die zusätzliche Patienten annehmen.

Sie haben die privaten Versicherungen angesprochen. Gerade dort steigen die Beiträge teilweise extrem. Welche Zukunft haben die Privaten noch?

Die stark steigenden Beiträge haben auch mit der Überversorgung zu tun, die es dort gibt. Das ist eine soziale Frage, weil es ja nicht nur Gutverdiener trifft. Ich versuche den sozialdemokratischen Koalitionspartner zu überzeugen, dass wir das endlich mal lösen. Nur leider vergeblich.

Die SPD will die private Krankenversicherung komplett abschaffen und eine Bürgerversicherung für alle.

Ja. Aber ist es fair, Pensionäre oder Beamte mit kleinem Gehalt darunter leiden zu lassen, dass man sein großes Ziel nicht durchgesetzt bekommt?

Wie sehen Sie die Entwicklung der Beiträge für die gesetzlichen Versicherten?

Einnahmen und Rücklagen sind auf Rekordniveau. Deshalb wollen wir die Kassen mit übermäßig hohen Polstern dazu bringen, dass sie ihre Versicherten entlasten. Spätestens 2020 wird das Pflicht. Und außerdem kann ich bekanntgeben, dass der durchschnittliche Zusatzbeitrag zum Jahreswechsel von 1,0 auf 0,9 Prozent sinken kann.

Dafür steigen die Beiträge zur Pflege 2019 deutlich. Geht das 2020 oder 2021 so weiter?

Nach heutigem menschlichen Ermessen nein. Wir haben eine Stabilität bis 2022. Aber wir dürfen – wie in der Rente – nicht nur auf die kommenden vier Jahre schauen.

Wir stehen wenige Tage vor der Landtagswahl in Hessen. Je nachdem, wie sie ausgeht, könnte die GroKo auch zum Pflegefall werden.

Ich kämpfe gerade dafür, dass es für die Union gut ausgeht in Hessen und deshalb werde ich mich auch nicht an irgendwelchen Spekulationen beteiligten. Dass aber die Gesamtverfassung in Berlin keine gute ist, das spüren wir alle. Wir haben die verdammte Pflicht, Vertrauen zurückzugewinnen. Vor allem durch konkretes Tun. Das gilt vor allem für die Themen Recht, Ordnung, Innere Sicherheit und Migration.

Selbst wenn es aus Ihrer Sicht gut ausgeht und Ministerpräsident Bouffier sich in eine neue Koalition rettet – es kann in Berlin doch nicht so weitergehen.

Ich gebe mich nicht zufrieden mit Umfragen von 26 oder 28 Prozent für die Union. Wir haben als Volkspartei einen anderen Anspruch. Die Kernfrage ist: Wie kommen wir wieder zu alter Stärke? Denn so reicht es jedenfalls nicht.

Das Interview führten Lars Hennemann und Jens Kleindienst.

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