Thursday, 18th April 2024
18 April 2024

Kollegah: „Der Holocaust hat im Rap nichts zu suchen“

Der Musiker Kollegah wollte ein harter Junge sein und drosch dumme Zeilen über KZ-Insassen. Dann besuchte er Auschwitz. Seitdem blickt er anders auf die Welt.

Felix Blume, 34, besser bekannt als Rapper Kollegah beim stern-Shooting in Düsseldorf

Herr Blume, Sie sind bekannt als skandalumwitterter Rapper Kollegah, nun berichten Sie in einem Buch von den Vorzügen der Meditation und gesunder Ernährung, und Sie warnen vor Drogen. Was ist passiert?

Die Texte meiner Rap-Songs waren oft hart, asozial und beleidigend. So funktioniert das im Battle-Rap, wo man sich gegenseitig mit heftigsten Beleidigungen duelliert. Aber dieses Buch ist etwas anderes. Darin spricht Felix Blume. Der Mensch hinter dem Künstler Kollegah.

Nun kommt auf den 256 Seiten des Buches der Musikpreis „Echo“ gar nicht vor. Der Skandal, den Sie dort erzeugten, sowie der Song, in dem Sie mit Ihrem Kollegen Farid Bang von Körpern rappten, die „definierter als Auschwitz-Insassen“ seien.

Nein, weil es um diesen einen Song nicht geht. Alle Menschen, die an dem Album und an dem Lied mitgearbeitet haben und die nicht gegen diese Zeile protestiert haben, sind mitverantwortlich. Da wollen wir uns gar nicht rausreden. Deshalb haben wir uns dafür auch entschuldigt. Wir haben eingesehen, dass das echt verletzend sein kann.

Sie haben sich lange überhaupt nicht zu den heftigen Vorwürfen geäußert. Wie sehr hat es Sie trotzdem getroffen?

Von der Mehrheit der Medien wurde ich nach dem „Echo“-Skandal zum Inbegriff des Bösen gestempelt. Es wurde öffentlich darüber verhandelt, ob ich und mein Rap-Kollege Farid Bang Antisemiten seien. Natürlich trifft einen das, weil es nicht stimmt. Und wir wurden vom Boulevard als „Dumm und Dümmer“ verhöhnt. Es nahm mich mit, dass meine Mutter ihren eigenen Sohn so dargestellt in den Medien sehen musste.

Sie haben diese Vorwürfe selbst provoziert. Von Ihnen stammt auch der Rap-Vers: „Mache mal wieder ’nen Holocaust“.

Deshalb ist gerade alles, was von mir kommt – ob Musik oder jetzt das Buch – unter strenger Beobachtung. Obwohl wir uns längst für diese Zeilen entschuldigt hatten, weil sie verletzend waren.

Wie wurde Ihnen das bewusst?

Auch durch meinen Besuch in Auschwitz, der mich sehr verändert hat.

Kollegah (l.) und sein Rap-Partner Farid Bang bei der „Echo“-Verleihung im Frühjahr 2018

Sie waren dort im Juni gemeinsam mit Farid Bang. Sie folgten einer Einladung des Internationalen Auschwitz-Komitees.

Der Besuch war eine aufwühlende, klärende Erfahrung für mich. Wenn du mit eigenen Augen siehst, wie dort fabrikmäßig Menschen vergast wurden, vergisst du das nie. Du spürst auch diese negative Energie, wenn du durch das Eingangstor gehst, über dem „Arbeit macht frei“ steht. Sie haben uns da erzählt, dass die jüdischen Zwangsarbeiter aus Protest das B im Schild falsch herum gesetzt hätten. Das sind alles so Geschichten, die dich das Leid viel spürbarer erfahren lassen. Da stellt man sich selbst infrage. Egal, welche Ethnie oder Glaubensrichtung. Man wird vorsichtiger und respektvoller. Und man denkt zwei-, dreimal mehr drüber nach, bevor man etwas rappt.

Ihr Besuch war privat und ohne Pressebegleitung. Wie reagierten die Leute dort auf den Rapper Kollegah?

Komplett ohne Vorurteile, wie auf ganz normale Besucher. Wir haben sehr engagierte Jugendliche getroffen, die dort arbeiten und die Gedenkstätte pflegen. Mit Christoph Heubner, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Internationalen Auschwitz Komitees, bin ich in Kontakt geblieben, und wir wollen sehen, ob wir zusammenarbeiten können, vielleicht in einer Charity-Aktion.

Heubner sagte nach Ihrem Besuch, dass Sie wohl wenig über das wahre Ausmaß des Holocaust und der grausigen Bürokratie der Nazis wussten.

Wenn Sie dort stehen und das mit eigenen Augen sehen, was Sie nur aus Dokumentationen oder Büchern kennen; wenn Sie auf einem dieser Wachtürme stehen, die Gleise von Birkenau sehen und sich den Rauch vorstellen, der aus den Öfen kam, dann denkt jeder, dass er wenig über das Ausmaß wusste. Diese Vernichtungsfabrik zu sehen und darin herumzulaufen ist etwas völlig anderes, als Bücher darüber zu lesen.

Würden Sie sagen, dass die Begriffe „Auschwitz“ und „Holocaust“ in Rap-Songs nichts zu suchen haben?

Ja, das macht man nicht. Ich werde so was nie wieder benutzen. Ich habe, auch nach dem Besuch von Auschwitz, großen Respekt davor. Und das gilt nicht nur für den jüdischen Glauben, ich mache mir insgesamt sehr viel Gedanken darüber, ob etwas in meinen Songs rassistisch verstanden werden kann, auch wenn es sicher nicht so gemeint ist. Die paar Wortspielereien in Songs sind es nicht wert, wenn damit Menschen oder Gefühle beleidigt werden. Meine Musik hat ganz andere Stärken.

Neue Rolle: Kollegah sieht sich als Vorbild und will aus alten Fehler lernen

Bedeutet das, die Zeiten der Provokation sind vorbei?

Es kann immer mal sein, dass ich Dinge anders sehe als die Mehrheit der Bevölkerung oder der Medien. Davon gehe ich aus, dass das passiert. Und ich bin ein Mensch, der bei seiner Meinung bleibt, wenn er davon überzeugt ist. Die Zeit der Provokation ist vielleicht erst mal vorbei, jetzt ist Zeit, über mich in dem Buch zu lesen. Für meine Fans ist es ein Buch darüber, wofür ihr Vorbild Kollegah steht. Für Toleranz und gegen alle Vorurteile rassistischer oder religiöser Art. So sollte der Alpha, der Prototyp des idealen Mannes, darüber denken.

Ihr Buch ist oft unterhaltsam und wirkt wie ein Lebensratgeber für Menschen, die normalerweise nie freiwillig ein Buch in die Hand nehmen würden.

Für viele ist es das erste Buch, das sie freiwillig lesen. Die jungen Leute lesen keine Bücher mehr. Aber echte Lebenserfahrung kannst du nur selbst machen. Oder indem du ein Buch liest, in dem einer vor ähnlichen Entscheidungen stand wie du selbst jetzt. Man liest ein Buch von jemandem, der den Fehler schon mal gemacht hat, den ich gerade im Begriff bin zu machen.

Sie fordern darin Respekt ein gegenüber Frauen und Religion, aber Ihre Songs handeln vom Gegenteil.

Ich will es erklären: Ich bin jetzt ein anderer Mensch. Früher habe ich viel Scheiße gemacht. Ich habe Drogen konsumiert und verkauft. Auch meine Musik hat dieses Leben reflektiert. Heute lebe ich anders. Ich habe mich hochgearbeitet und habe heute ein eigenes Musiklabel oder mein Fitnessprogramm „Boss Transformation“, das sich gut verkauft. Aber die Musik, die ich mache, ist nicht immer zeitaktuell. Sie erzählt auch aus meiner Vergangenheit in so derben Worten, wie sie eben auch war. Und die, die mich hören, wissen das, die wissen, dass das Haudrauf ist und nicht so aus dem Leben erzählt wie meine anderen Songs. So wie es in manchen harten Actionfilmen auch ein paar beleidigende Zeilen gibt, vielleicht sogar ein paar Tote und einen Sexualakt mit einer Mutter. Das sollte man als Bestandteile der Kunstform Battle-Rap begreifen.

Weiß das ein 13-Jähriger aus Neukölln auch?

Ich kann nicht in jeden Kopf hineinschauen, ich weiß aber, dass meine Fan-Base das genauso versteht und auseinanderhalten kann. Da gibt es niemanden, der losgeht und andere abknallt, nur weil ich etwas von Abknallen rappe. Die finden das cool zu hören, genauso wie sie es cool finden, mal einen Actionfilm im Kino zu sehen oder einfach mal ein Ballerspiel an der Konsole zu spielen. Man darf solchen Leuten nicht unterstellen, dass sie so dumm sind und das nicht einordnen können, nur weil man selbst vielleicht andere Musik hört und zu dieser Musik keinen Zugang hat.

Wie erklären Sie das einer besorgten Mutter, wenn das Teenager-Kind aus einem Ihrer Lieder „Ich fick die Bitch, bis das Steißbein bricht“ am Küchentisch rappt?

Sie müssen den Text genau zitieren: „Dein Chick is ’ne broke-ass-bitch, denn ich fick sie, bis ihr Steißbein bricht“. Der Ausdruck „broke-ass-bitch“ ist der Wortwitz, denn das heißt eigentlich nur „armer Schlucker“, aber wörtlich auf Deutsch auch gebrochenes Steißbein. Solche Wortspiele sind meine Kunst.

Was ist daran Lebensschule?

Sie müssen sich andere Songs von mir anhören. In „Du bist Boss“ heißt es: „Du bist Boss, wenn du Vollgas gibst mit deinen Talenten, statt sie sinnlos zu verschwenden, der Himmel ist die Grenze“. Der erzählt davon, wie man alles schaffen kann, wenn man sich nur anstrengt. So ein Song ist etwas sehr Emotionales. Da hören die Kids oft mehr hin als auf die Mama oder den Lehrer.

Sie predigen nun Bescheidenheit, aber auf Instagram wedeln Sie mit Geldbündeln herum. Sie bezahlten damit die Kaution für einen mutmaßlichen Straftäter: 40.000 Euro in bar. Wie passt das zusammen?

Ach, das ist immer eine Frage der Perspektive. Aus meiner Sicht ist es schon bescheiden, mit einem Geldbündel herumzuwedeln, weil ich da auch mit einer Schubkarre ankommen könnte. Aber im Ernst: Meine Lektionen richten sich an Menschen, die sich hocharbeiten wollen. Die erfolgreich sein wollen. In meiner Rolle bin ich ein Vorbild für viele. Wenn ich Statussymbole zeige wie Sportwagen oder Uhren, dann zeige ich den Leuten das als Ansporn: Der hat es geschafft. Ich muss hier also meine Bescheidenheit zurücknehmen und den Leuten ganz plastisch zeigen, in einer Rolle als Vorbild: Das könnt ihr auch erreichen.

Und was ist jetzt mit Jigzaw, den Rapper, für den Sie die Kaution hinterlegten?

Den habe ich im Januar entdeckt. Sein Rap hat mir sehr gefallen. Dann habe ich erfahren, dass der Junge gerade wegen einer Sache mit einer Machete ein Strafverfahren am Hals hat. Er hat sich bei dem Vorfall verteidigt und jemanden verletzt. Er wäre nicht aus dem Gefängnis rausgekommen, wenn niemand die Kaution gezahlt hätte. Er hätte keine neue Musik machen können.

Jigzaw wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Das Verfahren geht jetzt in Berufung.

Deshalb sehe ich es als meine Pflicht, diesen jungen Künstler, der ein großes Talent ist, erst einmal auf Herz und Nieren zu prüfen. Ich habe seine Familie besucht, um mir ein Bild von der Person zu machen. Und da sah ich, dass der Junge in eine Situation geraten ist, die er selbst mit verschuldet hat, und der dann, sagen wir mal, Pech gehabt hat. Keine Vorbilder, keine Vaterfigur, aber viele kriminelle Freunde, ich kenne diese Szene. Aber da gibt es ab und zu Diamanten darunter, die haben ihr Herz am rechten Fleck. Ich weiß das. Ich war selber so einer. Deshalb habe ich die Kaution hinterlegt, damit der Junge rauskommt. Jetzt hat er die Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen zu äußern. In der Form, in der er es am besten kann, als Rapper.

Wie ist Felix Blume aufgewachsen?

Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich sechs war. Ich hatte danach nur phasenweise Kontakt zu meinem Vater. Meine Mutter war auf sich allein gestellt. Sie ist gelernte Fremdsprachenkorrespondentin, hatte den Job für uns aufgegeben, musste dann aber arbeiten, weil wir da waren. Sie hat viel gemacht, ist Putzen gegangen und so, und wir hatten nicht viel Geld. Da war mir klar, dass wir da rausmüssen. Ich konnte nicht mal mit auf Klassenfahrt, weil die 200 Euro fehlten.

Also beschlossen Sie mit zwölf, Millionär zu werden.

Absolut, ich hab mir damals gesagt, mit 30 habe ich die erste Million, komme, was wolle. Ich habe das aber niemandem erzählt, sondern für mich behalten.

Wie kam es zum Kontakt mit dem Halbweltmilieu?

Das hatte mit dem Ziel der Millionen zu tun. Es gab zu der Zeit das Internet noch nicht so wie heute, und man konnte sein Geld nicht als Influencer oder so was verdienen. Also wie dann? Es waren einfach der Hunger, das junge Alter und der Testosteronspiegel in dem Alter, die einen wie mich dann in solche Kreise getrieben haben. Ich habe schon früh angefangen, Geschäfte auf der Straße zu machen, habe mit Klamotten gehandelt, die ich über Polen besorgt hatte. Und später hab ich die Kifferjungs auf den Dörfern mit Stoff versorgt.

Das Geld beschaffen war das eine, aber wie sehr hatte Sie das Milieu fasziniert?

Das hat uns alle fasziniert. Wir haben alle diese Gangsterfilme gesehen und wollten auch so sein, das war in dem Alter normal. Also, für mich war es normal, es gab natürlich auch andere, die lieber auf einer Wiese saßen, aber wir waren risikofreudiger.

Heute raten Sie von solchen Geschäften ab. Aber was sagen Sie einem Dealer, der Ihnen entgegenhält, nur so könne er seine erste Million machen?

Das stimmt ja nicht, die Millionen habe ich genau so nicht gemacht. Die Frage, die man sich stellen muss, ist: Lohnt es sich, die Moral nur für den Profit aufzugeben? Nein, denn der Profit ist sehr kurzfristig. Mein Geld war damals genauso schnell wieder weg, wie es gekommen war. Wohin verschwunden, weiß ich bis heute nicht. Das zeigt auch die Geschichte: Es gibt keine reichen Gauner. Und es gibt keine glücklichen Gauner.

Sie haben ein Unternehmen aufgebaut, Sie haben eine Sportbekleidungslinie, eine Konzertagentur und „Boss Transformation“, ein Fitness- und Muskelaufbauprogramm, das Sie vermarkten. Hinzu kommen Immobilien. Wie vermögend ist Kollegah?

Ich habe genug, dass meine Familie und ich davon gut leben können.

Sie beschäftigen sich eingehend mit Ihren Muskeln und Ihrer Fitness. Sind Muskeln bei Ihren Fans heute so wichtig wie für andere der Porsche vor der Tür?

Wer ein Alpha werden will, braucht einen gesunden und gebildeten Kopf. Und einen männlichen Körper. Ich bin der Meinung, ein Mann sollte auch aussehen wie ein Mann. Nun gibt es aber in meiner Welt viele, die keine Geduld damit haben und sich Anabolika und Testosteron spritzen oder schlucken. Dann geht es etwas schneller, aber es ist verdammt ungesund, man tut seinem Körper Gewalt an. Denen erkläre ich, wie man das richtig macht und die Finger von den Mitteln lässt.

Sie selbst haben nie gedopt?

Nein. Ich habe gelernt, Geduld zu haben. In der Musik wie im Sport. Alles andere hat keinen Sinn. Sport ist wie eine Droge für das Gehirn. Es geht in diesem Leben einfach darum, stabil im Wind zu stehen.

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