Wednesday, 20th March 2024
20 März 2024

Holocaust: Rechtsterroristen wollten Ausstrahlung verhindern

Terror von rechts: 1979 wollten Neonazis die Ausstrahlung der Serie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ verhindern und legten Sprengsätze an Sendeanlagen.

Rechtsterroristen wollten durch Sprengstoffanschläge auf die Sendeanlagen Koblenz (r.) und im Münsterland 1979 die Ausstrahlung der Serie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ verhindern

Rund eine Million Zuschauer sahen den Auftakt der vierteiligen Fernsehserie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ im NDR und WDR Anfang der Woche. Vor allem viele jüngere Zuschauer dürften die fiktive Geschichte der jüdischen Arztfamilie zum ersten Mal gesehen haben, ältere könnten sich erinnert fühlen an das Jahr 1979. Seinerzeit feierte der Vierteiler in den Dritten Programmen der ARD Premiere in Deutschland, die Serie wurde ein Straßenfeger. Fast jeder zweite Erwachsene sah zwischen dem 22. und dem 26. Januar mindestens eine Folge. In vielen Schulen standen Diskussionen über die Serie auf dem Stundenplan.

Es war vor allem die Art der Darstellung des Holocausts, die neu war: Die unvorstellbaren Schrecken des Völkermords, eingebettet in eine fiktive Geschichte. Viele verstanden durch die Serie zum ersten Mal die Tragweite der beispiellosen Verbrechen der Nationalsozialisten. 

Zwei Explosionen gegen „Holocaust“-Ausstrahlung

Genau das wollten im Januar 1979 Rechtsterroristen verhindern. Am 18. Januar um 20.15 Uhr strahlte die ARD im Vorfeld des Vierteilers die Dokumentation „Endlösung. Judenverfolgung in Deutschland 1933-1945“. Nach einer knappen halben Stunde erlosch das Fernsehprogramm auf Hunderttausenden Bildschirmen.

Wiederholung im Fernsehen

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„Gestern Abend um 20.40 Uhr wurden durch eine Sprengstoffdetonation die Leitungen zum Südwestfunksender Koblenz am Fuße des 280 Meter hohen Sendemastes für das erste Fernsehprogramm sowie für die drei Hörfunkprogramme zerstört. Damit fielen alle Programme des Südwestfunks über den Sender Koblenz und die nachgeschalteten Sender Linz und Bad Marienberg sowie über 100 Füllsender aus“, vermeldete der damalige Südwestfunk im Radio am nächsten Tag. Auch im Münsterland gab es eine Explosion. Am Longinusturm in Baumberge zerstörte die Detonation Fernmeldeanlagen der Bundespost, die Sendeanlagen für das Fernsehen waren jedoch nicht betroffen. Verletzt wurde bei den Anschlägen niemand.

Schnell vermuteten die Ermittler einen terroristischen Hintergrund, denn in rechten Publikationen wurde in den Tagen zuvor zur Sabotage aufgerufen. Jeder „anständige Deutsche“ sei aufgefordert, die Ausstrahlung der TV-Serie zu verhindern, hieß es unter anderem darin. Der Generalstaatsanwalt und das Bundeskriminalamt übernahmen die Ermittlungen.

Die Beamten trugen den Schnee rund um den schwer beschädigten Sockel des Sendemastes bei Koblenz ab und sicherten Spuren im Schmelzwasser: Ein zehn Kilogramm schwerer Sprengsatz war zum Einsatz gekommen, stellten die Ermittler fest. Die Blechverkleidung des Mastsockels flog durch die Wucht der Explosion 50 Meter weit. 

Die Tat reklamierte eine Gruppe, die sich „Internationale revolutionäre Nationalisten“ nannte, telefonisch für sich. Doch wer genau hinter der Gruppierung und den Sprengstoffanschlägen steckt, wurde erst Jahre später bewiesen.

Peter Naumann wird 1987 festgenommen

Erst 1987 nahm die Polizei den Täter fest, auch durch Informationen eines Stasi-Doppelagenten und durch die Auswertung von Spuren in einem ausgehobenen Waffendepot: Peter Naumann aus Wiesbaden, damals Mitte 30, studierter Chemiker, langjähriger Funktionär der NPD-Jugendorganisation JN, Rechtsterrorist. Er galt in Neonazi-Kreisen als „Bombenhirn“ und wollte seine Fertigkeiten nutzen, um gemeinsam mit Komplizen die Sendeanlagen zu zerstören und so die Ausstrahlung von „Holocaust“ verhindern. 

1988 erhielt er vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main unter anderem wegen der Sprengstoffanschläge und Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz eine Haftstrafe von viereinhalb Jahren. 

Zum Erstausstrahlungstermin des Vierteilers „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ am 22. Januar 1979 konnten alle Zuschauer rund um den Sender Koblenz vor dem Fernseher dabei sein, schon am Abend des Anschlags konnte der Notbetrieb wieder aufgenommen werden – die Rechtsterroristen konnten diesen Teil der Aufarbeitung des NS-Unrechts nicht verhindern.

Nach seiner Haftentlassung wurde Peter Naumann wieder für die NPD aktiv. Er will der Gewalt abgeschworen haben.

Die ersten beiden Folge von „Holocaust“ stehen bereits in der WDR-Mediathek zur Verfügung (bis zum 24. Januar). Die Folgen drei und vier laufen am Montag, 14. Januar (22.55 Uhr) und Dienstag, 15. Januar (22.10 Uhr) im WDR sowie an weiteren Terminen bei NDR und SWR. Im Anschluss sind auch diese Folgen in den Mediatheken der Sender abrufbar

Quellen: ARD, Südwestrundfunk I, Südwestrundfunk II, Deutschlandradio, Bundeszentrale für politische Bildung I, Bundeszentrale für politische Bildung II, Verfassungsschutz Hamburg, „Die Zeit“, Deutscher Bundestag

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