Wednesday, 20th March 2024
20 März 2024

Warum Kriegsverbrechern in Deutschland der Prozess gemacht wird

In München ist ein Afghane wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen angeklagt – obwohl er weder einen deutschen Pass hat noch seine Taten hierzulande verübte. Warum nimmt sich Deutschland dieser Art von Fällen an?

In München muss sich ein ehemaliger afghanischer Offizier dem Gericht stellen

Es gibt ein Prinzip, das Kriegsverbrechern auf der ganzen Welt zeigen soll, dass sie nirgends vor Strafverfolgung sicher sind: das Weltrecht. Deutschland hat sich diesem Prinzip seit 2002 im Völkerstrafgesetzbuch verschrieben. Es ist ein Gesetz, das der deutschen Justiz die Ahndung von bestimmten Straftaten gegen das Völkerrecht ermöglicht, die nicht auf deutschem Boden, sondern im Ausland begangen wurden. Darunter fallen die schwersten Straftaten, die es gibt: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression. Dem nun in München angeklagten afghanischen Ex-Offizier wird vorgeworfen, um den Jahreswechsel 2013/2014 herum drei kurz zuvor festgenommene Kämpfer gefoltert zu haben. Außerdem soll er den Leichnam eines gegnerischen Kommandeurs vor Zeugen der Zivilbevölkerung verhöhnt, beschimpft und misshandelt haben.

In Deutschland werden Fälle wie die des afghanischen Offiziers von der Generalbundesanwaltschaft geführt. Unterstützt werden die Anwälte am Bundesgerichtshof von einer „War Crime Unit“ im Bundeskriminalamt (BKA), der Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen.

Der erste Fall, bei dem Völkerstrafrecht in Deutschland angewendet wurde, begann im Jahr 2011. Damals waren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart der Präsident der „Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas“ (FDLR), Ignace Murwanashyaka, und sein Vize Straton Musoni angeklagt. Sie sollen Kriegsverbrechen in der Demokratischen Republik Kongo verübt haben. Die Urteile lauteten schließlich 13 bzw. acht Jahre Haft, wurden aber später teilweise wieder aufgehoben. Im April ist Murwanashyaka in Haft gestorben.

Ermittlungsverfahren gegen Kriegsverbrecher fallen unter die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts

Umso mehr Zeugen, umso mehr Ermittlungen

Seit dem Jahr 2015 hat das Weltrecht-Prinzip, zu dem sich Deutschland bekennt, noch einmal Auftrieb erhalten. Denn mit hunderttausenden Flüchtlingen aus Syrien kamen auch Opfer und Täter von Kriegsverbrechen nach Deutschland. Aus der Antwort auf eine Anfrage im Bundestag geht hervor, dass das BKA seit 2014 von Asylbewerbern mehr als 5000 Hinweise auf mögliche Kriegsverbrecher erhalten hat. Die Beschuldigten kommen nicht nur auch aus Syrien, sondern auch aus Afghanistan, Gambia und dem Irak. In 129 Fällen kam es zu Ermittlungen.

Einige kritisierten die Zahl als zu niedrig. Das sieht Völkerrechtler Christoph Safferling anders. Für ihn zeige das, dass in Deutschland “sensationell viel” auf diesem Gebiet getan werde. „Deutschland kümmert sich da wirklich in sehr systematischer Art und Weise. Man nimmt das sehr ernst.” Mittlerweile werden sogar so viele Prozesse vor den Oberlandesgerichten verhandelt, dass Safferling davon spricht, diese Fälle seien zur Routine für die Strafbehörden geworden. 

Das hängt auch damit zusammen, das im Unterschied zum sogenannten Ruanda-Prozess aus dem Jahr 2011 Ermittler seit 2015 einen Vorteil haben: die Augenzeugen von Kriegsverbrechen sind nun vor Ort. Im Fall Ruanda/Kongo mussten Zeugen kostspielig eingeflogen werden. Und noch etwas entscheidendes hat sich verändert: Kriegsverbrecher dokumentieren verstärkt ihre Taten selbst. Im Jahr 2016 wurde in Offenbach ein Mann der Kriegsverbrechen schuldig gesprochen, weil er auf einem Foto neben auf Metallstangen aufgespießten Köpfen zweier Männer in Syrien posiert hatte. Das Foto war gut einsehbar für jeden auf Facebook hochgeladen worden. 

Erst im Februar wurden zwei ehemalige syrische Geheimdienstmitarbeiter festgenommen

Mitläufer oder Haupttäter bestrafen

Das „European Center for Constitutional and Human Rights“ (ECCHR) berät und unterstützt Menschen juristisch, die Opfer von Kriegsverbrechen geworden sind. Das Zentrum gibt jedes Jahr einen Bericht heraus, der die größten Fälle unter dem Völkerstrafgesetzbuch auflistet. In Deutschland waren es im vergangenen Jahr 18 Fälle, in denen entweder Untersuchungen eingeleitet, ein Prozess eröffnet oder sogar Urteile gefällt wurden. 

Oft befindet sich der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Anklage in Deutschland. So wie Anwar R. und Eyad A. Die beiden Syrer wurden im Februar in Berlin und Rheinland-Pfalz festgenommen. Sie sollen ehemalige Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes sein. Ihnen werden schwere Vergehen wie Folter und Mord vorgeworfen.

Das ECCHR betreut auch mutmaßliche Opfer einer der verhafteten Geheimdienstmitarbeiter. „In Deutschland oder in Europa sind die Chancen auf eine Festnahme natürlich größer“, sagt Alexandra Lily Kather vom ECCHR. Das Hauptanliegen ihrer Organisation sei aber ein Anderes. „Unser erklärtes Ziel ist es, dass sich die Generalbundesanwaltschaft nicht nur auf niedrige, sondern vor allem auf die hochrangigen Täter fokussiert und internationale Haftbefehle gegen diese erlässt.“ Denn diese könnten einmal wichtig werden. Dann, wenn die Täter ihr Land verlassen müssen und ein anderes Land betreten, das international gesuchte Straftäter an Deutschland ausliefert. 

Laut Völkerrechtler Safferling besitzen aber bisher im Alltag der Staatsanwälte die Fälle Priorität, die einen Bezug zu Deutschland haben. Jene also, die entweder die Sicherheit im Land gefährden oder bei denen mutmaßliche Täter angeklagt sind, die in Deutschland leben. „Es geht auch darum, sich nicht als Weltpolizist aufzuspielen“, sagt Safferling. Dennoch sei das Weltrecht-Prinzip ein wichtiges Zeichen: Deutschland fungiere nicht als sicherer Hafen für Kriegsverbrecher.

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