Thursday, 21st March 2024
21 März 2024

30 Jahre „Die Fantastischen Vier“: Wie der Hip Hop nach Deutschland kam

Die Fans nennen sie „Fantas“, ihre Musik ist deutscher Sprechgesang. Platten werden gekratzt – von „And. Ypsilon, dem Rhythmuspräsident“. Vor 30 Jahren gaben sie ihr erstes Konzert – auf einer Bühne aus Europaletten.

Ganz schön wackelig sei es auf dieser Bühne gewesen, erinnert sich And. Ypsilon, mit richtigem Namen Andreas Rieke. „Ich stand mit meinem Tapedeck da und habe die Basisbeats abgefeuert.“ Und das Ganze vor 50 Leuten in einem Kindergarten. Dieser Gig ist Andreas und den drei MCs Michi Beck, Smudo und Thomas D. so gut in Erinnerung geblieben, dass sie das Datum als den „Geburtstag“ ihrer Band auserkoren haben: den 7. Juli 1989.

Seitdem haben die „Fantas“ zehn Studio- und acht Live-Alben veröffentlicht, waren damit fünf Mal Nummer Eins. Mehrfach gewannen sie die wichtigsten deutschen Musikpreise. Und sie haben den Hip Hop nach Deutschland geholt und deutschen Rap salonfähig gemacht.

Für Verdienste um die deutsche Sprache bekamen die Fantas den renommierten Jacob-Grimm-Preis, der die „Weiterentwicklung und Pflege des Deutschen als Kultursprache“ honoriert

Ihre Singles sind bis auf zwei Ausnahmen keine Nummer 1-Hits geworden, aber dennoch werden Songs wie „Sie ist weg“, „Tag am Meer“, „Der Picknicker“, „Zu geil für diese Welt“, „Michi Beck in Hell“ oder auch das Wortgewitter in „Lass die Sonne rein“ von Fans in- und auswendig mitgerappt. Ihre Songs sind Kult. Viele heute 30-Jährige sind mit der Musik der Fantas aufgewachsen.

Älter als Cro und Alligatoah

Die  heutigen deutschen Rap-Stars waren noch gar nicht auf der Welt, als die Fantas ihre Bandkarriere starteten. Mit bunten Klamotten und Basecaps hopsten sie fröhlich durch ihre Videos und setzten in der deutschen Musikszene ganz schnell ihre Eigenmarke. Das erste Album „Jetzt geht’s ab“ wurde erst mal verhalten aufgenommen.

 Rap und Hip Hop war eine englischsprachige Domäne; wer in anderen Sprachen rappte, war eher ein Exot. Mit dem Album „4 gewinnt“ änderte sich das schlagartig. Die Hitsingle „Die da!?!“ katapultierte die vier Jungs aus Stuttgart (liebevoll „Benztown“ genannt, denn Mercedes Benz hat in der Nähe seinen Hauptsitz) in die obersten Ränge der deutschen Popszene. Und dort sind sie bis heute geblieben.

„Ein gespielter Witz“

Bunter Hip Hop mit Wortwitz: Die musikalischen Anfänge der Fantastischen Vier

Auch wenn das Album „4 gewinnt“ ein großer Erfolg war – es gab auch heftige Kritik seitens der „echten“ Hip Hopper: Statt Sozialkritik werde hier Spaßmusik gemacht; Hip Hop und Rap, die ursprünglich aus dem Ghetto kamen, seien zum kommerziellen Weichspülmittel geworden, hieß es in der Szene. Thomas D. erinnerte sich vor Jahren in einem dpa-Interview an diese Zeit: „Ungeachtet der anderen Lieder, die wir bis dahin geschrieben hatten, reduzierte man uns auf unseren einzigen Hit ‚Die da!?!‘. Wir waren ein gespielter Witz.“

Vor allem aus Frankfurt wehte den vier fröhlichen Jungs ein härterer Wind entgegen. Das „Rödelheim Hartreim Projekt“ um Deutsch-Rapper Moses Pelham ließ kaum eine Gelegenheit aus, die Stuttgarter zu „dissen“ – sie also auch in ihren Liedern zu beleidigen. 

Schluss mit dem bunten Klamauk!

Mit dem  1993er Album „Die 4. Dimension“ spielten sich die Fantas schließlich frei. Die bunten Klamotten wurden abgeworfen, die Texte teilweise fast psychedelisch. Im „Tag am Meer“ beschreibt Thomas D. einen LSD-Trip, in „Schizophren“ schreit uns Smudos elektronisch verzerrte Stimme an. Passend dazu ist die Musik: typischer 90er Jahre Acid Jazz, oft schweißtreibend und elektrisierend.

Mit der Single „Sie ist weg“ hatten die Fantas dann 1995 ihren bis dahin größten kommerziellen Erfolg. Das dazugehörige Album „Lauschgift“ schwenkte wieder auf einen neuen Kurs ein. Härter und gleichzeitig philosophischer, ein wenig selbstkritisch und manchmal auch traurig.

MfG: Ein Geniestreich

Der erste Sprung auf Platz 1 der deutschen Album-Charts gelang den Fantas vor genau 20 Jahren: „4:99“ war die bis dahin musikalisch ausgereifteste Platte.

 Ihr Singlehit „MfG“ war ein Geniestreich: Die Strophen des Songs bestehen nur aus Abkürzungen. Das hat aber Zeile für Zeile Sinn und spiegelt die politische und gesellschaftliche Situation dieser Zeit wider. In vielen Teilen ist der Text immer noch aktuell.

 

Unvergessen auch ihr erstes MTV-Unplugged-Album, das sie im Jahr 2000 in einer Höhle im Sauerland aufnahmen. Mit einer Live-Band spielten sie ihre bis dahin größten Hits, eine Neuauflage gab es 2012.

Die Unplugged-Konzerte in der Balver Höhle sind legendär

Auch die späteren Studioalben zeigten sich immer wieder anders als ihre jeweiligen Vorgänger – langweilig wurde es mit den Fantas nie. Die Fans bedankten sich, trieben die Platten regelmäßig mit ihren Käufen bis an die Chartspitzen und sorgten für ausverkaufte Konzert-Tourneen. 

Nur Fantas reicht nicht ganz

Als hätten sie nicht genügend Erfolge gefeiert, hatten alle vier von Anfang auch an ihre eigenen Projekte. „Mikrofonprofessor“ Smudo (Michael Bernd Schmidt) sah man zeitweise mehr auf der Nordschleife des Nürburgrings als im Studio: Seine große Leidenschaft ist das Rennfahren.

Nachhaltigkeit auf der Rennstrecke: Smudo fuhr seinen VW Scirocco mit dem Biokraftstoff Rapsöl

Thomas D. (Thomas Dürr) hatte mit seinem gleichnamigen Soloprojekt Erfolg und sang unter anderem auch mit Nina Hagen („Solo“) und der Schauspielerin Franka Potente („Wish – komm zu mir“). Zudem war er noch Sänger bei der Rockband Son Goku.

Michael „Michi“ Beck ist nebenbei mit dem DJ-Projekt „Turntablerocker“ unterwegs, And. Ypsilon produziert neben den Fantas weitere deutsche Künstler. Smudo und Michi Beck waren zudem über mehrere Staffeln Coaches bei der TV-Casting-Show „The Voice of Germany“.

Michi Beck und Smudo in der Kulisse von „The Voice of Germany“

Und jetzt auch ein Film

Die ganze Bandgeschichte kommt im September 2019 als abendfüllender Kinofilm auf die Leinwand. Die Uraufführung von „Wer 4 sind“ fand am 2. Juli 2019 auf dem Filmfest München statt. Regisseur Thomas Schwendemann, der unter anderem schon mehrere Musikvideos mit Thomas D. und eine Doku über das Musikerkollektiv „Die Söhne Mannheims“ gedreht hat, wirft nicht nur einen Blick auf die Band, sondern auch auf jeden einzelnen der vier Protagonisten. Jeder für sich ist ein ganz eigener Charakter. Alle haben verschiedene Lebensmodelle und gehen dennoch einen gemeinsamen Weg – und das seit 30 Jahren.

Sie hören nicht auf zu hüpfen…

Drei Open-Air-Konzerte gibt es noch in diesem Sommer 2019, dann ist auch die Tour zum letzten Album „Captain Fantasic“ zu Ende. Aber die Fantas selbst sehen noch lange nicht so aus, als wollten sie ihre Karriere schon beenden. Frei nach einem älteren Song (Buenos Dias Messias): „Dieses Haus ist besetzt ohne Pause bis jetzt, denn wir kamen zuerst und wir gehen auch zuletzt.“

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